Wer das liest ist doof

Viele werden sich an diesen oder ähnliche an Wände geschmierte Sprüche noch aus der Schulzeit erinnern. Rechtlich gesehen handelt es sich dabei um eine „einseitige Willensäußerung“. Da ein Vertrag aber nur durch Angebot und Annahme zustande kommt, ist der Leser eben keineswegs automatisch doof. Manche Schlipsträger sehen das zuweilen anders, sonst würde es diese un­säglichen Email-Disclaimer wohl gar nicht geben. Eine Zeile Nachricht, zehn Zeilen Anweisungen, wie man mit der Email umzugehen habe, sofern man sich nicht der Gefahr der vorläufigen Erschießung aussetzen möchte.

Diese E-Mail kann vertrauliche und/oder rechtlich geschützte Informationen enthalten. Wenn Sie nicht der beabsichtigte Empfänger sind oder diese E-Mail irrtümlich erhalten haben, informieren Sie bitte sofort den Absender telefonisch oder per E-Mail und löschen Sie diese E-Mail aus Ihrem System. Das unerlaubte Kopieren sowie die unbefugte Weitergabe dieser Mail ist nicht gestattet.
— Ein klassischer Email Disclaimer

Wenn irgend ein Zeitgenosse auf den falschen Knopf drückt und mir, anstatt jemand anderem die Mail sendet, dann ist das erst einmal sein Problem, aber nicht meines. Jeder halbwegs zivilisierte Mensch würde den Absender ob der fehlgegangenen Mail sowieso ansprechen und ihn auf den Irrtum hinweisen. Wenn man solche Probleme aber lieber juristisch zu lösen versucht, nach dem Motto „ich habe zwar einen Fehler gemacht, aber du bist schuld“, dann werde ich eher sauer und tue gar nichts mehr, weil ich es als extreme Belästigung empfinde, wenn jemand mich mit juristischen Drohungen zu etwas zwingen will, was ich freiwillig jederzeit gern getan hätte.

Die Sinnlosigkeit solcher Disclaimer wurde schon so häufig im Internet analysiert, dass man sich wirklich wundert, warum man sie immer noch fast täglich im Posteingang findet. Man fühlt sich an das Landgericht Hamburg erinnert und dessen Urteil vom 12. Mai 1998 (312 O 85/98) – das wohl am häufigsten zitierte und vor allem falsch verstandene Urteil im deutschsprachigen Internet.

Geht es um Vertraulichkeit, zählen Juristen die verschiedensten Grundsätze auf. Da gibt es die Ver­schwiegen­heitspflicht eines Berufsstandes, vertragliche Pflichten aus einer NDA oder ganz allgemein das Persönlichkeitsrecht des Absenders der Email. Im Einzelfall kann der Empfänger tatsächlich verpflicht sein, den Inhalt einer E-Mail nicht in die Welt hinaus zu posaunen. Aber das gilt völlig unabhängig von einem Disclaimer.

Was es natürlich unbedingt zu vermeiden gilt ist, dass Unbefugte Kenntnis von vertraulichen Informationen erhalten, nur weil man aus Versehen den falschen Adressaten angeklickt hat. Das ist zuweilen nicht nur peinlich, es kann auch zu großem Ärger führen. Das kann man jedoch kaum mit juristischen Winkelzügen vermeiden, sondern wesentlich wirkungsvoller mit technischen Mitteln. Verschlüsselung von Emails heißt hier das Zauberwort. Darum wird es in einem der nächsten Artikel gehen. Es ist nämlich wesentlich besser wenn jemand gar nicht lesen kann, was er nicht lesen soll, als ihn mit wohlklingenden juristischen Formulierungen zum „Vergessen“ zwingen zu wollen. Damit macht man sich bestenfalls nur lächerlich.

Disclaimer:
Wer den Text bis hierher gelesen hat, ist verpflichtet mir sofort 500 Baht zu überweisen. Zu­wider­hand­lungen können schwerste Bestrafung, bis hin zu Stockschlägen oder Freiheitsentzug, zur Folge haben.